Eine 230-seitige Ode an die alten Stadien

«Das Fussballstadion». Das ist mal ein Titel für ein Sachbuch. Er steht auf äusserst pragmatische Weise dafür, was einen auf den folgenden 230 Seiten erwartet. Auf dünnem Hochglanzpapier und mit sehr vielen bunten Fotos nimmt der Wiener Stadienguru Josef Gruber die Leserinnen und Leser mit auf eine Reise quer durch Europa, vor allem aber durch Deutschland, Italien, Österreich und Polen.

Der Grund für diese Reise findet sich im Untertitel. Dieser heisst «Lost Grounds und Stadien abseits der Moderne» und weist darauf hin, dass es nicht einfach um die normalen heutigen Fussballstadien geht, sondern um solche, die ihre beste Zeit hinter sich haben oder die es gar nicht mehr gibt. Das heisst allerdings auf gar keinen Fall, dass sie nicht von Interesse wären, wie Josef Gruber zeigt: Seine Reise durch die Fussballwelt ist weit spannender als jene durch die sterilen Spielstätten der Champions League. Aufhören, in dem Buch zu blättern, fällt allen schwer, die etwas für Fussballromantik übrig haben.

Häufig sind das Fans, die dem modernen Fussball kritisch gegenüber stehen. Wer diesen verfolgt, merkt nämlich unweigerlich: Die Fussballstadien sehen heute alle in etwa gleich aus. Besonders in der deutschen Bundesliga sehen sie sich zum Verwechseln ähnlich, wobei das Baukastenmodell sich mittlerweile auch in vielen anderen Ländern etabliert hat – gerade auch in Polen, das im Buch einen grossen Teil einnimmt. Oder in Tschechien. Oder in der Türkei. Und natürlich auch in der Schweiz.

In St.Gallen sind wir diesbezüglich gebrannte Kinder. Das neue Stadion ist funktional, manche finden es schön, komfortabel, modern, es ist auf dem Stand der Zeit. Doch wirklich damit warm geworden sind, das behaupte ich jetzt mal, immer noch nicht alle FCSG-Fans. Besonders nicht jene, die sich mit dem Espenmoos verbunden gefühlt haben. Denn das alte Stadion, das zwischen Wohnquartier und Schrebergarten eingeklemmt war, stand für alles, was den Fussball ausmacht. Es war eng, eher klein, nie so ganz sauber – und doch schrieb es mehr als ein unvergessliches Kapitel des Schweizer Fussballs. Denn es war meistens laut, es hatte eine wunderbare Steh-Gegengerade und es roch nach Matsch, Bratwurst und Bier.

Diese Geschichte teilen die Stadien, die Josef Gruber vorstellt – angefangen beim alten Hanappi-Stadion des SK Rapid Wien, das Heimstadion des Autoren, der auch das Fanzine «Unterwegs» herausgibt. Auch das Hanappi hatte mehr Charakter als der heutige Neubau, war zu seiner Zeit ebenfalls eine Kathedrale des ehrlichen Fussballs. Vier Seiten bekommt das Stadion im Buch; eine doppelte mit Bildern vom Abbruch und eine doppelte, auf der Text zu finden ist. Josef Gruber beschreibt seinen Eindruck vom Rückbau unter anderem so: «Auch bei der Nordtribüne ging es rasch voran und die Fertigelemente stapelten sich am Spielfeld zum Abtransport. Nach nur einer Woche war auch schon die Überdachung abgetragen und das Stadion nur mehr schemenhaft zu erkennen.»

«Das Fussballstadion» glänzt ohnehin nicht nur mit seinen aussagekräftigen Bildern, sondern auch dank der Texte. Josef Gruber ist in diesen so akribisch, wie das die «Unterwegs»-Leserschaft von ihm kennt. Als Eckdaten gibt’s das Jahr der Stadioneröffnung, die Adresse des Stadions sowie eine Angabe, wann Gruber jenes besucht hat. Dann folgt der wirkliche Text, der unter dem Titel «Geschichte und Anekdoten» zu finden ist und jede Menge Informationen beinhaltet. Wer also den «Lebenslauf» des Stadio Baiamonti (Gorizia) oder des Stadion Skalka Im. Pawla Waloska in Swietochlowice (Polen) kennenlernen will, ist hier richtig.

Warum ich gerade diese beiden Orte aufzähle? Weil – und das zeichnet das Werk zusätzlich aus – auf den 230 Seiten nicht nur grosse Städte der Fussballwelt zu finden sind, sondern auch jene Orte, an denen sich die Basis des Fussballs auch befindet. Etwa Gladbeck, Rudisleben, Teramo, Eisenstadt, Ruda Slaska oder Wloclawek. Das Buch ist also nicht nur eine Sammlung sehenswerter Spielstätten, sondern im besten Fall auch eine geografische Horizonterweiterung.

Zu erwerben gibts «Das Fussballstadion» – von dem mittlerweile übrigens ein zweiter Band erschienen ist – online unter www.unterwegsfanzineverlag.at.