Immer ä Kamera i dä Hand

Aus der Bilderwelt rund um den FC St.Gallen ist ein Mann nicht wegzudenken, der alles freiwillig, unbezahlt und gern macht: Robert Adolf. Der im Internet als «Robo77» bekannte Thaler ist schon sein Leben lang mit Fotografie und Bewegtbild in Berührung und geht im Stadion seinem grössten Hobby nach.

Den Namen, den er im Netz verwendet, kennt fast jeder St.Gallen-Fan: Robo77 stellt nach so gut wie jedem Spiel einen Video-Zusammenschnitt auf Youtube. Er macht das ehrenamtlich und immer so, dass kein Fan erkennbar ist. Das ist seine wichtigste Regel.

Robert Adolf, wie er mit bürgerlichem Namen heisst, kam im Jahr 1958 als Sohn einer moldauischen Mutter und eines deutschen Vaters in der damaligen Sowjetunion zur Welt. Sein Vater amtete während des Zweiten Weltkriegs als Dolmetscher, wurde dann aber fälschlicherweise als Kriegsverbrecher bezeichnet und festgenommen. Anfangs der 1960er-Jahre wurde der Vater freigelassen, die Familie kehrte ins Bundesland Bayern zurück, wo Robert bis 1988 lebte. Seither ist sein Lebensmittelpunkt die Ostschweiz.

Die Faszination an einem Livespiel im Stadion hat für Robert unterschiedliche Gründe. Einerseits sind es taktische Aspekte, die man vor Ort besser wahrnimmt als vor dem TV-Bildschirm. Zudem kann man einzelne Spieler besser beobachten und so deren Entwicklung mitverfolgen. Und zu guter Letzt ist ihm der Support von den Rängen wichtig. Einerseits die Fangesänge, andererseits auch Botschaften der Fans mittels Transparenten oder Choreografien. Auch wenn mal andere Trommler oder neue Trommeln im Einsatz sind, fällt ihm dies sofort auf.

Drei Leidenschaften vereinen

Robert ist jeweils früh beim Stadion. Er möchte die Stadionatmosphäre bereits zwei bis drei Stunden vor Spielbeginn aufsaugen. Er tauscht sich mit anderen Fans aus und fachsimpelt mit ihnen. Was er begrüssenswert finden würde, ist eine frühere Öffnung des Stadions. In Deutschland öffneten die Stadiontore meist eineinhalb bis zwei Stunden vor Spielbeginn. In St.Gallen sei dies abgesehen vom Espenblock nicht der Fall. «Die Zuschauer:innen würden sich dadurch besser verteilen und man wäre auch weniger gestresst», sagt Robert.

Robert hat schon zu Zeiten, als er noch in Deutschland lebte, erste Erfahrungen mit Fotografieren und Filmen gemacht. Auch wenn er den Fussball schon früh verfolgte, wirklich gepackt hat ihn das Fussballfieber Ende der 80er-Jahre. Und irgendwann wollte er seine Passionen Film, Foto und Fussball, kombinieren. Umgesetzt hat er das mit dem Umzug des FC St.Gallen ins neue Stadion. Robo sagt: «Ich habe irgendetwas gesucht, um meine Leidenschaften zu vereinen. Ich kann meine Emotionen so besser zeigen. Jeder Fan zeigt seine Emotionen anders. Fahnen schwenken oder Ähnliches sagen mir nichts. Nun kann ich mit meinen Videos und Bildern den FCSG sowie die Fans unterstützen. Denn Fussball bedeutet mir viel, so kann ich dem Sport etwas zurückgeben.»

Viel Wertschätzung, nur wenig Kritik

Sein Einsatz bleibt nicht unbemerkt. Wertschätzung erfährt Robert etwa, wenn er im Stadion von Verwaltungsräten angesprochen und gelobt wird. Ab und an erhält er von Fans Geschenke, die er in seiner Wohnung in Thal aufbewahrt und ausstellt.

Dennoch, wie überall, gibt es auch hier manchmal Kritik, wenn auch nur von einem geringen Teil der Fans. Sollten sich viele Personen an seinen Videos stören oder würde es dem Ansehen der Fans beziehungsweise des Vereins schaden, würde er sofort mit dem Filmen aufhören. Robert sagt: «Wenn es wegen der Videos verschiedene Meinungen gibt, trifft man sich irgendwo. Im Mai 2021 beispielsweise sorgte ein Video vom Abschlusstraining im Stadion für Unruhe in Fankreisen. «Ich wurde gebeten, dieses zurückzuziehen. Dem Wunsch ging ich sofort nach». Doch auch für andere Rückmeldungen ist er jederzeit offen. «Kürzlich sprach mich ein Fan an, die Wirkung der Choreos sei um einiges besser, wenn ich aus der untersten Reihe filmen würde.»

Auch der «Mohrenkopf»-Fall vom Juni 2020 trug seinen Teil bei, dass er nicht nur Freunde hat. Beim Spiel gegen den FCZ hörte man plötzlich in seinem Video den Ausdruck von einem weiterhin unbekannten Fan, der sich rassistisch gegen einen FCZ-Spieler gerichtet haben dürfte. Weder Robert noch sein Sohn, der ihn begleitet hat und immer ein wichtiger Ratgeber ist, haben das im Stadion gehört. Daraufhin wurde ihm da und dort unterstellt, er hätte das absichtlich gemacht, um der Fanszene zu schaden. Selbst beim Fertigstellen des Videos sei ihm der Begriff aber nicht aufgefallen.

Wer Robert etwas besser kennt, nimmt ihm seine Sicht der Dinge ab. Robert wollte anschliessend helfen, den Täter zu fassen, denn Rassismus ist für ihn ein absolutes No-Go. Auch Gewalt verachtet er. Das erklärt sich erst recht, wenn man seine Familiengeschichte betrachtet: Einer seiner Brüder zog vor knapp dreissig Jahren in den Bosnienkrieg, kehrte von diesem aber nicht mehr zurück. Dennoch würde er nie seine Materialien für Strafverfolgungen gegen Fans zur Verfügung stellen. Denn schlussendlich ist auch er vor allem eins: ein Fan. Und auch selber habe er in seinen jungen Jahren mal einen «Blödsinn» gemacht.

Stundenlange Arbeit pro Spiel

In seinen Videos ist ihm wichtig, dass ein möglichst perfekter Übergang der Fanlieder erfolgt, dass er ein möglichst komplettes Lied aufnimmt und das beim Schneiden entsprechend berücksichtigt. Apropos schneiden, wie lange benötigt er eigentlich dafür? «Früher dauerte es etwa zwei bis drei Stunden. Da ich nun auch schon etwas älter und gesundheitlich ein wenig angeschlagen bin, dauert das Ganze etwa eine Stunde länger. Zunächst speichere ich das Rohmaterial aus der Speicherkarte ab, dann schaue ich mir jede Szene durch, und wenn es passt, lade ich es aufs Programm, danach zusammengefügt auf Youtube.» 

Abschliessend bleiben noch zwei Punkte zu klären: einerseits, weshalb er nach wie vor mit einer Digicam statt des Handys unterwegs ist? «Die Qualität der Bilder und Videos ist deutlich besser. Ausserdem ist für mich das Handling bei der Wiederverarbeitung wesentlich einfacher.» Und andererseits: Wofür steht eigentlich die Zahl 77 im Pseudonym? «Die Fankurven schaffen es auf geheimnisvolle Weise immer wieder, Licht ins Stadion zu bringen. Mein Geheimnis bleibt die Bedeutung der Zahlenkombination 77.» Diese verwendet er unter anderem auch als Rückennummer auf seinem Trikot.


Dieser Text erschien erstmals im SENF #18 – «Bewegt». Die Ausgabe kann hier bestellt werden.