Weniger glücklich

Ein Jahr ist es her seit dem letzten richtigen Fussballspiel des FC St.Gallen. Und was für eines das war. Das 3:3 gegen YB wurde zum Sinnbild für die ganze Saison und zu einer Erinnerung, die uns bis heute nicht loslässt.

Als St.Gallen das Spiel ausglich, lief Torschütze Ermedin Demirovic sofort Richtung Mittelkreis. Zwei zu zwei gegen den Meister aus Bern, der punktgleich mit dem FCSG die Tabelle anführte. Doch St.Gallen wollte dieses Spiel gewinnen.

Ich denke mir heute, das ist die neunte Klasse in ihrem letzten Jahr. Einige gehen in ein paar Wochen in die Kanti oder in eine Lehre. Andere melden sich fürs zehnte Schuljahr an. Man verliert sich und wird erwachsen. Das alles wussten die Spieler in den grünen Trikots vielleicht noch nicht, aber sie spürten es wahrscheinlich. Denn in dieser 73. Minute ist da nichts als der Moment. Kein Morgen, kein Übermorgen, schon gar keine Pandemie.

Eine gute Viertelstunde später trifft Lukas Görtler. Drei zu zwei. In der Nachspielzeit. In dieser Stadt war es lange nicht mehr so laut. Vielleicht an Abenden im Sittertobel. Inmitten des Lärms umarmt eine Frau ihr Kind und küsst es auf die Wange. Es ist ein langer und bewegender Kuss, weil er nicht dem jungen Menschen gilt, sondern vielmehr dem Glück, das knapp 20'000 Menschen gerade teilen. Die Kamera fängt den Kuss ein.

Es gibt das Spiel auf Youtube in voller Länge. In den letzten Monaten habe ich mir diese Szenen dutzende Male angesehen. Ich gehe immer wieder zurück zum 23. Februar 2020. In jener Zeit entdeckte ich den englischen Musiker Sam Fender. Ich höre mir noch immer täglich sein Debütalbum Hypersonic Missiles an.

Doch auch wenn ich mir diese Bilder regelmässig ansehe, entfernen sie sich allmählich. Mir ist, als sehe ich mir ein Fotoalbum an. Man sieht sich auf den alten Fotografien, erkennt die Gesichtszüge und die Kleider. Und doch ist einem, als sei das jemand anderes. Als habe ein anderer Mensch dieses Leben geführt. Dabei sind wir gar nicht erwachsen geworden, sondern einfach weniger Kind. Weniger betrunken, weniger liebestrunken.

Weniger verkatert. Weniger unglücklich.

Vor allem aber weniger glücklich.

Vielleicht ist diese Erinnerung an den Februar 2020 gar keine Rückkehr. Vielleicht bin ich einfach stehengeblieben. Als vor einem Jahr alles mit einer ungeheuren Geschwindigkeit langsamer wurde.

Es ist seltsam, das Ganze wiederholt sich. Jährt sich. Den Februar hatten wir schon.