Das unbekannte Innenleben
Ruben Schönenberger,
06.05.2021,
Film
Die Garderobe ist das letzte Mysterium, das der Fussball noch zu bieten hat. Was in der Kabine passiert, bleibt in der Regel den Anwesenden vorbehalten. Der Schweizer Dokumentarfilm «Football Inside» will das ändern.
Was Trainer und Trainerinnen ihrem Team hier mitgeben, das weiss in aller Regel niemand. Zwar haben einige versucht, sich ein Bild zu machen: Es gibt Filme, die zum Beispiel Köbi Kuhn als Nati-Trainer oder Vladimir Petkovic als YB-Trainer zeigen; es gibt Texte, wie auch einen von mir im Frühling 2017 für das Fussballmagazin Zwölf, der die Pausenansprache zu ergründen suchte. Doch ihnen allen ist gemein, dass sie den Mythos der Garderobe nicht restlos aufklären können.
Nun versucht sich ein weiterer Film daran. «Football Inside» von Michele Cirigliano begleitet die NLA-Frauen der Grasshoppers, die Challengeligisten aus Kriens, eine Juniorenmannschaft der Blue Stars Zürich sowie die Veteranen des FC Wettswil-Bonstetten an einem Spieltag.
Vom Spiel sieht man so gut wie nichts. Im Zentrum stehen die Kabine und ihre Protagonistinnen und Protagonisten. Dabei folgen die Spielvorbereitungen aller Mannschaften aufeinander, dann alle vier Halbzeitpausen, dann alle vier Szenen nach Spielschluss. Das macht den Film phasenweise etwas langatmig, zeigt aber gut auf, dass der Sport im Grunde überall der gleiche ist. Zwar gibt’s beim SC Kriens eine Matchvorbereitung inklusive Videostudium und bei den Blue-Stars-Junioren nur eine auf Papier gezeichnete Aufstellung an der Garderobentür. Zwar gibt’s bei den GC-Frauen nach Spielschluss isotonische Getränke und bei den Veteranen von Wettswil-Bonstetten eine Kiste Bier. Aber überall wird diskutiert, was gut war, was besser laufen müsste. Bei den einen energisch – beim SC Kriens fliegen alle Taktiktafelmagnete durch die Gegend –, bei den anderen gemächlicher – bei Wettswil-Bonstetten schmunzelt man in der Pause schon über einen Lapsus.
Was der Film aber in erster Linie zeigt, ist, wie sehr die Fussballerinnen und Fussballer ihren Sport lieben. Vom Junior, der den Schulstress vergessen kann, über den ambitionierten Profi, der nach dem Spiel nicht runterfahren kann, bis zur Natispielerin, die nicht von ihrem Sport leben kann und trotzdem viermal die Woche trainiert. Trotzdem schafft es der Film meist nicht, hinter die dem Fussball so eigenen Banalitäten zu blicken. Das hängt zum Teil mit den gewählten Hauptprotagonistinnen und Hauptprotagonisten zusammen. GC-Coach Walter Grüter zum Beispiel, der auch schon beim FCZ war und hauptsächlich von sich selbst spricht, benützt so viele Plattitüden, dass die ersten zwei Sätze in den Unterlagen zu Film - «Das Spiel dauert 90 Minuten. Der Ball ist rund und muss ins Eck.» - von ihm stammen könnten. Am besten gewählt ist Blue-Stars-Trainer Federico D’Aloia, der ein Team zusammenhält, von dem fast die Hälfte der Spieler zu spät zum Match kommt und in dem einzelne Spieler kaum Deutsch sprechen. Die Szenen zwischen dem Trainer und dem erst gerade Deutsch lernenden Torhüter Nawaf sind mit die besten des Films. Auch, weil der Goalie eine dumme rote Karte holt und der Trainer daraus eine Art pädagogisch wertvolle Lektion machen will: Sie müssten jetzt halt lernen in Unterzahl zu spielen. Ähnlich stark ist nur der Beginn der Krienser Halbzeitpause, in der nach einer schlechten ersten Hälfte gleich Spieler und Trainer lautstark ihren Unmut bekunden. Nur schon deswegen lohnt sich der Kinobesuch.
Noch mehr lohnt sich dieser allerdings wegen des Vorfilms «Das Spiel», der gleichzeitig in die Kinos kommt. Dieser begleitet Schiedsrichter Fedayi San bei einem Spiel der Berner Young Boys gegen den FC Lugano nicht nur mit der Kamera, sondern auch mit dem Mikrofon. Wie viel der Schiri mit seinem Team kommuniziert, ist eindrücklich. Noch eindrücklicher ist der Umgang mit den Spielern. Einmal erklärt er San Lugano-Haudegen Daprelà seelenruhig, warum er das Foul gepfiffen hat. Zwischendurch wechselt er auf Englisch und einmal nennt er einen Berner «Freche Siech». Und, den Bogen zum eigentlichen Film schlagend: Auch bei den Schiris ist die Halbzeitpause relevant. Die Pausenansprache macht hier aber gewissermassen das Handy: San konsultiert noch vor Halbzeit Zwei eine strittige Entscheidung aus den ersten 45 Minuten.