Geisterwoche #1: Schaurig war’s – im Guten wie im Schlechten

Unter dem Titel «Geisterwoche» begleitet das SENF-Kollektiv den Rest der Saison 2020/21. In der ersten Woche nach dem Re-Start gewann St.Gallen in Sion 2:1 und unterlag dem FC Zürich 0:4. Zwei Kollektivmitglieder berichten davon, wie sie die Spiele erlebt haben.

Los gehts mit Rolands Eindrücken vom Auswärtssieg in Sion:

Am letzten Samstag spielte St.Gallen das erste Ligaspiel nach der Coronapause in Sion. Üblicherweise ist das eine für uns Fans zeitraubende Angelegenheit. Wäre es kein Geisterspiel gewesen, wäre der Extrazug irgendwann am frühen Nachmittag losgefahren und die Fans hätten spätestens dann mit dem Biertrinken begonnen. Hätten.

Da nun alles anders war, musste eine Alternative her – eine möglichst gleichwertige Alternative. Eine, bei der man auch ohne schlechtes Gewissen am Mittag Bier trinken darf. Ein Freund von mir hatte die perfekte Lösung und zog kurzerhand mit seiner Freundin in ihre erste gemeinsame Wohnung. Perfekt. Treffpunkt um 8 Uhr, ihre Wohnung ausräumen, danach seine alte Wohnung ausräumen. Ihr müsst wissen, liebe Leserinnen und Leser, wir sind der beste Zügeltrupp nördlich der Alpen. Top motiviert und organisiert, solange es nach getaner Arbeit Bier gibt. Ja, wir werden in Bier bezahlt.

Das war auch am Samstag nicht anders. Fast also, wie wenn wir nach Sitten gefahren wären. Den Auswärtssieg habe ich dann übrigens im verrauchten Hinterzimmer eines St.Galler Restaurants gesehen, so haben meine Kleider am Sonntag auch gerochen – irgendwie nach Extrazug.

Arcangelo nimmt uns ebenfalls mit nach Sion und lässt dazu die Heimpleite gegen Zürich Revue passieren:

Das war sie also, die erste Geisterwoche in der Super League. Zu Beginn wars – mal abgesehen von der vermaledeiten YB-Viertelstunde – schaurig schön. Am Donnerstagabend wars dann jedoch nur noch schaurig. Aber der Reihe nach.

Um mich vor dem Gastspiel in Sion einigermassen in Stimmung zu bringen, krame ich nachmittags mein Jubiläumsdress aus dem Kleiderkasten und ziehe es an. Endlich wieder ein guter Grund, das Teil zu tragen! Denn endlich, endlich spielt der FCSG wieder! Und das als Tabellenführer! Was will man mehr? – Ganz einfach: Dabei sein #VemaledeitsCorona

Das Spiel schaue ich allein. Zu Hause. Bei einem Gläschen Wein und ein paar Aprikosen – natürlich beides aus dem Wallis (kein Witz!) – und dem Kopfhörer der Playstation im Ohr. Am anderen Ende sitzt Kollege Essig aus Kantizeiten, der bei sich zu Hause sitzt. Das Spiel beginnt. Es vergehen nur wenige Minuten und schon fühlt es sich falsch an. Keine Zuschauer im Stadion, keine Pyroaktion beim Einlaufen; nix, nada, niente, nur die monotone Stimme eines Kommentators. Anspannung? Fehlanzeige. Kollege Essig und ich plaudern über Bandenwerbungen (Ohne Zuschauer nimmt man die Dinger plötzlich wahr) und erleben einen kurzen Nuggi-Notstand (Kollege Essig ist seit kurzem Papi). Im Grossen und Ganzen sind wir aber entspannt. Zu entspannt.

Dann ein erstes Highlight. Zigi ist kurz im Bild und sieht mit seiner neuen Frisur aus wie Fifty Cents Cousin! Wird mir zumindest gesagt. Aus bisher ungeklärten Gründen, ich war vermutlich wirklich zu entspannt, schaue ich just bei Zigis Einblendung nicht auf den Fernseher. Bis ich in den Genuss der neuen G-Unit-Haarpracht unseres Goalies komme, vergeht eine gefühlte Ewigkeit. Die St.Galler sind einfach zu dominant. Der Ball ist kaum in der Nähe des eigenen Strafraums und Zigi so nie im Bild. Irgendwann tut er uns einfach nur noch Leid. Da hat er sich so viel Mühe gegeben und dann bekommt er keine Sendezeit, Sauerei!

Ich schweife ab, ich weiss. Aber genau so ergeht es mir und meinem Freund im Ohr während der Partie, die nach den zwei Treffern von Itten einfach nur tot ist. Wir machen uns Gedanken, wen der FC St.Gallen diesen Sommer nicht halten kann, falls «Los chicos locos» so weiterspielen und wie unsäglich eine Meisterfeier unter Corona-Schutzmassnahmen wäre. Dennoch: Samstagabend darf als schaurig schön eingestuft werden. Ein souveräner Sieg im Wallis im Stil einer Spitzenmannschaft. Was will man mehr? – Ganz einfach: Dabei sein #VemaledeitsCorona

Das Heimspiel gegen Zürich am Donnerstag ist hingegen alles andere als ein schaurig freudiges Erlebnis. Den grössten Teil des Spiels verfolge ich stehend am hochgefahrenen Pult. Ich befinde mich im Newsroom, die Partie läuft auf der Videowand. Natürlich bekomme ich trotz Arbeit mit, dass der FCSG loslegt wie die Feuerwehr, wie Itten zuerst mit dem Kopf den Ball knapp neben das Tor setzt und wie er ihn danach famos an die Zürcher Torumrandung hämmert. Leckomio, darf nicht wahr sein! Und dann: Görtler! Auch vorbei, gibts nicht! Mir schwant Übles.

Dass es dann aber so schaurig wird, dass der ehemalige Wil-Fan im Büro kurz vor dem Schlusspfiff genüsslich fragt, ob St.Gallen nun die Qualifikation für die Europa League aufs Spiel setzt, hätte ich nicht erwartet und muss ich – vermutlich bin ich nicht der einzige – nun rasch verdrängen. Denn das Ende der ersten Geisterwoche in der Super League war zwar schaurig, aber auch nach Spieltag 25 ist die Situation der Espen doch eigentlich schaurig schön. #MirsindimmernoErste