Frei, Pfister und Kahn

Hutter und Mock sassen sich gegenüber. Jeder hatte eine Beige mit Fussballbildchen vor sich. Im Fernsehen lief ein Fussballmatch. Am Radio eine Fussball-Hymne und am Computer der Fifa World Cup 2006. Zwei Fussball-Gefangene warteten in der St.Galler Altstadt auf ihre Befreiung. – Aber weit und breit war niemand, der ihnen helfen oder wenigstens ihre Not lindern wollte. Im Gegenteil: Die stärkste Zeitung der Schweiz versteckte Fussball-Bildchen in einer ganz gewöhnlichen Samstags-Ausgabe. Das Schweizer Fernsehen schickte Trainer Gilbert Gress und ein paar Prominente aufs Fussballfeld zum Match. Und der FCZ führte eine Fussballposse auf unter dem Titel «Ils ont kidnapé Rafael!».

Mock legte das Bild mit dem Dortmunder Westfalenstadion auf den Tisch. Hutter jenes von Alex Frei. Die Regeln waren einfach: Wer wusste, was das betreffende Bild mit St.Gallen zu tun hatte, durfte das Bild behalten. «Alex Frei hätte uns garantiert zum zweiten Meistertitel in Folge geschossen, wenn der FCSG ihn 2001 rechtzeitig verpflichtet hätte.» Hutter zögerte keinen Augenblick mit der Antwort. Mock nickte und schob das Bild über den Tisch. «Im Westfalenstadion feierte der Stürmer Stéphane Chapuisat seine grössten Erfolge. Als 18-jähriger Lausanne-Stürmer dribbelte er in der Saison 87-88 seinen Gegenspieler Ertan Irizik auf dem Espenmoos schwindlig und verzückte dabei sogar das St.Galler Publikum.» – Mock lachte, Hutter zuckte die Schultern und gab das Bild frei.

Die Kater Amoah und Rubio schauten den seltsamen Tauschgeschäften aufmerksam zu. Nächste Runde: Otto Pfister und das Wappen der USA. Mock antwortete zuerst: «Der Togo-Trainer hat uns Kindern damals mächtig imponiert. Wenn die Mannschaft nach dem Einlaufen vom Nebenplatz Richtung Tribüne marschierte, paffte Spielertrainer Pfister eine Zigarette und witzelte locker mit den St.Galler Fans.» – Hutter drückte Mock das Bild und dazu noch den seltenen Argentinier Sorin in die Hand. «Der amerikanische Fussballer Frankie Hejduk verärgerte mit seinen Eskapaden und seiner Überheblichkeit die Fans auf dem Espenmoos. Seine Nomination für die WM ist eine absolute Frechheit.»

Hutters Erregung dämpfte Mock mit einer grosszügigen Dreingabe. Er schenkte Hutter das Bild von Kahn und liess dazu eine folgenschwere Bemerkung fallen: «Der würde auch zu uns uns passen, gerade jetzt.» – Hutter sagte nichts. Aber er schob alle gewonnenen Bilder wieder hinüber zu Mock. «Nimm zurück, was du eben gesagt hast, oder ich spiele nicht weiter.» Mock ging wortlos zum Kühlschrank, holte sich ein Getränk, setzte sich vor den Fernseher und sah ruhig zu, wie der Arsenal-Hüter Lehmann den Penalty von Riquelme hielt. «Wir schweben in höchster Abstiegsgefahr, ja wir stehen am Abgrund. Und was macht der treue FCSG-Fan Mock aus dem Sektor Blau?» Goalie-Witze, um damit von seiner heimlichen Liebe zur deutschen Nationalmannschaft abzulenken. – Mock erhob sich langsam, packte seine Bildchen ein, kraulte Amoah und verliess das Wohnzimmer kommentarlos. Hutter riss die deutsche Mannschaft aus dem Fussball-Album, öffnete das Fenster und liess einen Papierflieger zu Mock hinuntersegeln.

Die Geschichten von Hutter & Mock waren über Jahre fixer Bestandteil der St.Galler Matchvorbereitung. Die ersten 37 Folgen bis zum Abschluss der Rückrunde der Saison 2003/04 sind in einem Sammelband im Saiten-Verlag erschienen. Der Autor Daniel Kehl hat uns freundlicherweise die nachfolgenden, bisher nicht in Buchform erschienenen Episoden überlassen. Wir veröffentlichen in jeder Ausgabe des SENF eine Hutter & Mock-Episode, die erste im SENF #02. Zusätzlich erscheint jeden zweiten Monat eine Episode hier auf dieser Webseite.

Die aktuelle Episode «Frei, Pfister und Kahn» erschien anlässlich des Heimspiels in der 34. Runde der Saison 2005/06 gegen den Neuchâtel Xamax.