Amoah gesucht

Der FC St.Gallen hatte es doch noch geschafft. Schon zwei Runden vor Schluss hatten die Espen den Ligaerhalt in der Saison 2005/06 auf sicher. Hutter war trotzdem voll der Sorge: Sein Kater Amoah war verschwunden.

Hutter erhielt Post aus ganz Europa. Es schien, dass alle sympathischen Fussball-Vereine zwischen Gibraltar und Tromsö ein schreckliches Jahr erwischt hätten: Selbst das stolze Athletic Bilbao kämpfte gegen den Abstieg und Huters baskische Freunde sandten einen Hilferuf in die Ostschweiz: «SOS! Nosotros sufriendo como nunca!» In Deutschland tauchte das irre Köln trotz Bergdoktor Latour, in Frankreich prügelten sie Korsika und Lothringen aus der Ligue 1 und in Italien zeigten sie Lecce und Messina aus dem Mezzogiorno die rote Karte für die Serie A.

Hutter zerknüllte die Zeitungsausschnitte mit den Pleiten seiner Lieblingsclubs und verbrannte sie im Grill auf der Terrasse. Er öffnete eine Flasche Weisswein und wartete auf bessere Zeiten. Die Sonne schien, die Glocken läuteten und ein paar Gläubige strebten durch die Gasse Richtung St. Laurenzen. Callàs 1:0 im letzten Heimspiel gegen Xamax war für Hutter der schönste Moment seit Langem gewesen.

Am Tag darauf hatte ihn das Unglück schon wieder eingeholt: Kater Amoah war spurlos verschwunden! Hutter hatte alle Winkel der Marktgasse abgesucht. Nichts! Rubio hockte seither apathisch auf dem Liegestuhl und vermisste seinen vertrauten Spielkameraden. Es lief alles schief. Hutter hatte erwartet, dass St.Gallen in Aarau endlich befreit und ohne Druck auftreten würde, um im Abstiegskampf für reguläre Verhältnisse zu sorgen. Die erneute Auswärts-Niederlage war eine Ohrfeige und passte zur Aufregung rund um den verschollenen Kater. Hutter hatte eine dramatische Suchaktion mit grossen Plakaten gestartet: «Wo ist Amoah? Der zutrauliche Kater trägt ein grün-weisses Halsband.» Als Finderlohn war ein Match-Besuch auf dem Espenmoos ausgesetzt – inklusive Bier und Bratwurst à discrétion.

Tanja kam mit Oliven und Käse hinaus auf die Terrasse. «Ich habe jede Hausmauer der Altstadt mit den Vermisstanzeigen für Amoah vollgeklebt. Jetzt können wir nur noch warten und hoffen! Auf die Rückkehr des Katers und den Meistertitel für den FCZ.» – Hutter überhörte den zweiten Teil von Tanjas Bemerkung. Sie hatten sich versöhnt. Er konnte sich nicht vorstellen, eine Fussball-Weltmeisterschaft ohne Tanja zu geniessen. Und gegen den Meistergewinn des FCZ hatte er nichts, solange der FC St.Gallen damit nichts zu tun hatte. Hutter und Tanja kraulten den einsamen Rubio und trösteten ihn.

Da geschah das Wunder von St.Gallen: Mock trat langsam und vorsichtig hinaus auf die Terrasse. Er hielt Amoah wie ein fürsorglicher Zoowärter im Arm. Hutter stürzte auf ihn zu: «Wo hast du ihn gefunden? Ich suche ihn seit Tagen!» Mock antwortete ruhig: «Ich habe, wie jedes Mal, den Notvorrat für die Weltmeisterschaft in deinen Keller gebracht. Da starrte mir dort unten ein verschüchtertes und ausgehungertes Kätzchen entgegen, das mir irgendwie bekannt vorkam!» Hutter fiel Tanja und Mock um den Hals. Zu dritt stiessen sie an auf die Befreiung des grün-weissen Maskottchens und Mock fand auch diesmal die passenden Worte: «Liebe Fussball-Freunde, die Saison 2005/06 war eine einzige Katastrophe. Es ist nicht die erste Enttäuschung, die wir zusammen erleben, und es wird nicht die letzte sein. Aber jetzt gilt nur ein: Wir sind wieder vollzählig. Hopp Sanggalle!»

Die Geschichten von Hutter & Mock waren über Jahre fixer Bestandteil der St.Galler Matchvorbereitung. Die ersten 37 Folgen bis zum Abschluss der Rückrunde der Saison 2003/04 sind in einem Sammelband im Saiten-Verlag erschienen. Der Autor Daniel Kehl hat uns freundlicherweise die nachfolgenden, bisher nicht in Buchform erschienenen Episoden überlassen. Wir veröffentlichten in jeder Ausgabe des SENF eine Hutter & Mock-Episode, die erste im SENF #02. Zusätzlich erschien jeden zweiten Monat eine Episode hier auf dieser Webseite.

Die aktuelle Episode «Amoah gesucht», erschienen anlässlich des Heimspiels in der 36. Runde der Saison 2005/06 gegen den FC Schaffhausen, ist bereits die letzte «Hutter & Mock»-Episode.