Ein Blick zurück in turbulente Zeiten: Wie der FC St.Gallen 2008 abgestiegen ist

Grün-Weiss stand in der Saison 2007/08 vor dem Einzug ins neue Stadion, kämpfte aber mit Problemen. Der Abstieg drohte, die Stimmung zwischen Verein und Fans war auf einem Tiefpunkt angelangt und selbst im Vorstand des FCSG brodelte es ohne Unterlass.

«Der Abstieg war das logische Resultat einer völlig verkorksten Saison», fasst Markus Scherrer – ehemaliger Journalist beim St.Galler Tagblatt und ehemaliger Medienchef des FC St.Gallen – die Spielzeit 2007/08 in der Retrospektive zusammen. Eine sehr schlechte und hoch explosive Stimmung im Umfeld des Vereins prägte aus Sicht des damaligen FCSG-Präsidenten Dieter Froehlich die Saison:

«Dieser Abstieg war für alle sehr schmerzhaft. 
Umso mehr, als man das neue, tolle Stadion im Westen der Stadt vor Augen hatte.»

Dabei war man noch ziemlich hoffnungsvoll in die Saison gestartet. Die Erwartungshaltung war eine Platzierung im vorderen Tabellendrittel. So war für den damaligen Trainer Rolf Fringer bereits bei der Pressekonferenz vor Saisonstart klar, dass er einen neuen Stürmer brauchen würde. Anderer Meinung waren René Weiler und der Vorstand. Der Trainer sollte mit dem arbeiten, was ihm zur Verfügung stünde.

Schon der Start in die Saison missriet. Nach einem 1:0-Auswärtssieg gegen Dacia Chișinău verlor der FCSG zuhause im Penaltyschiessen und schied aus dem UI-Cup aus. Während danach in der Meisterschaft die erwünschten Resultate auch ausblieben, entwickelten sich im Hintergrund gemäss Scherrer immer härtere Fronten zwischen Sportchef und Trainer. Schliesslich mündete dies in der Entlassung Fringers Anfang Oktober. Weiler sprang kurzerhand als Trainer ein, doch auch er war gemäss Scherrer im Vorstand längst nicht mehr unbestritten. Drei Wochen nach dieser Rochade wurde Weiler denn auch trotz ansprechender Resultate entlassen. Der für Weiler interimistisch auf den Posten des Sportchefs nachgerückte Fredy Strasser sagt heute dazu: «Er hat das eigentlich gut gemacht. Aber man wollte dann trotzdem einen Trainer, der die Saison zu Ende führen kann.» Aus Scherrers Sicht kam die Entlassung nicht überraschend:

«Er war wohl einigen im Vorstand etwas zu selbstständig und machte nicht genau das, was erwartet wurde.»

So gab es beispielsweise zum weiteren Verbleib von Daniel Imhof verschiedene Ansichten: Weiler sagte öffentlich, er hätte Imhof vom Verbleib überzeugt. Dieser wechselte dann aber doch zu Marcel Koller nach Bochum.

Strasser wollte nie mehr Sportchef sein

Die Lücke auf dem Posten des Sportchefs wurde dann definitiv durch Strasser gefüllt. Obwohl er sich nach zwölf Jahren als Sportchef bei Aarau geschworen hatte, dieses Amt nicht mehr zu übernehmen, sagte er der Führung des Vereins zu und gab seinen Job bei den Junioren auf. «Ich habe die ersten Gespräche mit Krassimir Balakov geführt. Aber eingestellt wurde er aufgrund der Überzeugung des gesamten Vorstands», so Strasser.

Am 29. Oktober 2007 trat Krassimir Balakov sein Amt an. Die Meinungen zur Trainerwahl in dieser schwierigen Situation gehen bis heute diametral auseinander. Scherrer sagt:

«Balakov war ein Jahrhundertirrtum.» 

Obwohl er fussballerisch wohl ein guter Trainer sei, habe er damals einfach nicht in die Situation gepasst. «Er liess die Mannschaft nur noch laufen und war der Ansicht, dass die Mannschaft in einer solchen Situation kaserniert werden muss.» Dennoch war der Verein der Überzeugung, mit Balakov an der Seitenlinie den Turnaround zu schaffen.

Mit dem Meistertitel in den Abwärtsstrudel

Die Schuld für die damalige Misere rund um den FCSG jedoch allein dem Trainer in die Schuhe zu schieben wäre falsch. Froehlich gesteht denn auch Fehler an verschiedenen Fronten ein, aber sieht für die destruktive Stimmung im Umfeld des FCSG vor allem die populistische Stimmungsmache eines ehemaligen Sponsors als Hauptgrund: «Er hat den ganzen Club durcheinander gebracht.» Für Scherrer wiederum begann der Abwärtsstrudel bereits viel früher: «Nach dem Meistertitel wollte der Verein die Mannschaft spielerisch weiterbringen, anstatt auf dem bewährten, kämpferischen Vorgehen auf dem Platz zu beruhen.»

Die Erwartungshaltung von Umfeld und Verein war nach dem Meistertitel, gemessen an den Möglichkeiten, schlicht zu hoch. Auch für Strasser lässt sich der Abwärtsstrudel nur in der Kombination verschiedener Faktoren erklären. Wenn es in der Führungsetage Uneinigkeit gebe, schwäche man sich selbst.

Der Supergau

Gute Entscheide in der Saison 2007/08 hervorzuheben, fällt Froehlich nicht leicht: «Der Abstieg ist der Supergau und stellt auch gute Entscheide, die zweifellos in dieser Saison auch gefällt wurden, in den Schatten.» Derselben Meinung ist auch Strasser, dem vor allem die vielen Entlassungen in Erinnerung bleiben. Scherrer jedoch sieht auch etwas Positives in der betrachteten Spielzeit: «Zu Beginn der Saison liess Froehlich Weiler einfach machen. Er hat ihm nicht reingepfuscht. Mit der Konsequenz halt, dass es sich nicht ausgezahlt hat.» Auch hier waren die Fronten zwischen Fringer, Weiler und dem Vorstand ein Einflussfaktor.

Undurchsichtige Machenschaften rund um den Verein sorgten ebenfalls für Gesprächsstoff. Immer wieder wurde Froehlich, unter anderem durch Scherrer, für seine Arbeit kritisiert. Thema war beispielsweise die Finanzierung der Spieler, denn teilweise sprangen private Geldgeber für den Verein in die Bresche. Strasser sieht das wenig problematisch: «Die Geldgeber haben dann ja nicht bei der Mannschaftsaufstellung mitgeredet.» Generell war es finanziell eine sehr schwierige Zeit im Verein. Viele Mitarbeitende hatten noch eine zweite, dritte oder vierte Aufgabe. Es fehlte an allen Ecken und Enden. Ein Auswuchs daraus war beispielsweise, dass Verträge im Anwaltsbüro des ehemaligen Sportchefs Peter Stadelmann verfasst wurden.In der Winterpause wollte schliesslich sogar ein externes Duo mit einem Putsch an einer ausserordentlichen Generalversammlung eine Wende einleiten. Doch dazu kam es nicht. Scherrer erinnert sich:

«Ich habe ihnen gesagt: Ihr könnt nicht rechnen. Auch wenn es eine GV gibt, habt ihr keine Mehrheit.»

Konkret wurden die Pläne der designierten Putschisten schliesslich nicht. So kamen bei Sportchef Strasser nicht einmal Details an: «Das hat man aus Vereinssicht nicht ganz so ernst genommen. Man wollte ja auch sich selbst bleiben und nicht fremdgesteuert werden.»

Aus heutiger Sicht, nachdem er als Medienchef auch in den Verein reinsehen konnte, betrachtet Scherrer Froehlichs damalige Arbeit aus einer anderen Perspektive: «Als ich gesehen habe, was dieser Mann geleistet hat, auch monetär, konnte ich nachvollziehen, warum er bei meinen Berichten bisweilen einen hochroten Kopf hatte.» Hoch anrechnen möchte er Froehlich ausserdem, dass er nach dem Abstieg nicht einfach den Bettel hinwarf, sondern den Karren aus dem Dreck ziehen wollte.

Die Barrage

Mit Aussicht auf die Barrage brodelte es weiter rund um den Verein. Zu spät für eine Rettung aus sportlicher Sicht war es gemäss Froehlich aber bis zur letzten Minute des Barragerückspiels nicht. Anders sieht das Strasser: «Als Lulic im Tessin den Ball unters Lattenkreuz hämmerte, sah ich unsere Felle davonschwimmen.» Und wie sah das der Trainer selbst? Trotz verschiedener Versuche war er für SENF nicht erreichbar.Im Juni 2019 hat er sich aber in einem Interview mit dem österreichischen Fussballmagazin Ballesterer zur Barrage mit dem FCSG geäussert:

«Wir sind in die Relegation gekommen, das war eigentlich ein Erfolg, und wir haben das Gefühl gehabt, dass wir es schaffen werden. Wir haben unser Ziel verfehlt, und dafür hat es einen Grund gegeben. Vor dem Play-Off-Rückspiel gegen Bellinzona habe ich erfahren, dass fünf erfahrene und wichtige Spieler schon bei anderen Vereinen unterschrieben haben.

Ich habe das der Öffentlichkeit nicht sagen können, aber sie auch nicht auswechseln können, weil ich dann keine Mannschaft gehabt hätte. Wir haben verloren, das hat mich nicht überrascht. Fussball ist nicht nur Training am Platz, Fussball ist Organisation ohne Ende.»

Sportchef Strasser stimmt zu: «Ja, das war tatsächlich so. Balakov hatte sich im Vornherein immer wieder darüber beschwert, dass die Spieler bereits transferiert seien.» Aus Strassers Sicht kam die Mannschaft nach dem Genickschlag im Hinspiel schlicht nicht mehr auf 100 Prozent: «Darum hat es dann nicht gereicht.» Froehlich und Scherrer hingegen sehen in der Aussage Balakovs nur eine faule Ausrede, um sich Geschehenes zurechtzurücken. «Diese Ausrede lasse ich als Grund für die Niederlage in der Barrage nicht gelten», so Froehlich. Auch Scherrer hört die Geschichte zum ersten Mal und bezweifelt, dass es tatsächlich fünf waren. Ausserdem: «Nüchtern betrachtet muss der Superligist in zwei Spielen einfach gegen den Unterklassigen gewinnen. Sonst stimmt etwas generell nicht. An den fünf Spielern lag es bestimmt nicht.» Strasser kriegt mithilfe der damaligen Mannschaftsaufstellung drei der fünf Spieler zusammen. Einer war sicher jener, dessen Abschied bereits vier Stunden nach Spielschluss bekannt war: Davide Callà. Bei den weiteren Spielern wären es nur Mutmassungen.

Die Barrage endete, wie es Scherrer schon in der Winterpause im Schweizer Fernsehen prophezeit hatte: Der FCSG stieg ab.