«Der Fan im Stadion beschäftigt sich hoffentlich mit einem Bier»

Die Digitalisierung ist der Mega-Trend schlechthin. Vor kaum einem Bereich macht sie halt, auch nicht vor dem Fussball, wie die Online-Konferenz Sports.Tech.Forum zeigt. Die aktuellen Trends reichen von «eindrücklich» wie digital auferstandene Klublegenden über «absurd» wie angeblich beste Stadien bis zu «äusserst bedenklich» wie etwa automatisierte Gesichtserkennung, um ins Stadion zu gelangen. Einzelne Entwicklungen lassen den Stadion-Fan allerdings gänzlich aussen vor.

Messe- und Konferenzveranstalter haben derzeit das gleiche Problem wie Fussballvereine: Ihr Publikum kann nicht vor Ort sein. Das galt auch für das Sports.Tech.Forum vom vergangenen Mittwoch, das aus den Olma-Hallen in etliche Stuben und Büros übertragen wurde. An der eintägigen Konferenz präsentierten «Top-Speaker und Experten die neuesten Entwicklungen» im Sportmarkt, der von digitalen Technologien durchdrungen werde.

Ein Sport, der von digitalen Technologien durchdrungen wird: Dem einen oder anderen Fussballromantiker wird der Atem stocken. Für viele dürfte es hingegen nur logisch sein, dass die Digitalisierung auch den Sport grundlegend verändert. Oder, dass Sport und Digitalisierung viel Synergiepotential haben, wie es Hans-Willy Brockes ausdrückte. Der Geschäftsführer des ESB Marketing Netzwerks begrüsste die Teilnehmer im Namen des Digital Sports Hub Switzerland, der die Veranstaltung durchführte und bei dem auch die Stadt St.Gallen, die Olma Messen und der Kanton St.Gallen beteiligt sind.

In diesem Grenzbereich zwischen Romantik und Pragmatismus bewegten sich die einzelnen Programmpunkte denn auch. Wenn beispielsweise Christof Babinsky von ASB Glassfloor von digitalen Sportböden berichtet, die aus Glas sind und deshalb das «Einzeichnen» der jeweils benötigten Linien per Knopfdruck ermöglichen, ist das zuallerst einmal ziemlich eindrücklich. Ähnliches gilt, wenn die Firma Octagon durch eine Art Hologramm eine Liverpool-Legende digital auferstehen lässt. Oder wenn Matthias Berger, CEO von Sportsevision, aufzeigt, wie per LED-Banden aktuelle Statistiken am Spielfeldrand eingeblendet werden können.

Bei vielen anderen Präsentationen musste man bewusst die Brille des Fernseh-Fans aufsetzen. Wenn etwa die Firma Kinexon Tracking-Daten der Spieler für Zuschauerinnen und Zuschauer an den Bildschirmen verfügbar macht, ist das für diese ein willkommener Zusatzservice. Und das Interesse daran dürfte tatsächlich existieren. Die Emotionalität, die den Fussball im Stadion ausmacht, fehlt zuhause sowieso. Entsprechend kann man sich auch bereits während des Spiels mit nüchternen Zahlen und Statistiken beschäftigen. In Coronazeiten mag man das verstärkt merken, im Wesentlichen galt das aber schon vor der Pandemie. Für die Fans im Stadion ist das Angebot denn auch gar nicht gedacht. Oder wie Jaromir Fuoli, als Creative Director von appwork arbeitet er mit Kinexon zusammen, sagte: «Der Fan im Stadion beschäftigt sich hoffentlich mit einem Bier.»

Dass die Zielgruppe der Fernseh-Fans gar nicht so klein sein dürfte, lässt auch die App FanQ erahnen. «Die App am Puls der Fans», wie sie deren Projektmanager Lukas Kopfer nennt. Die App soll Fanmeinungen transparent machen, indem sie die Fans ganz einfach nach deren Meinung fragt. Über die Hälfte der App-Nutzer gibt an, Fussball eher am TV als im Stadion zu schauen.

Bei vielen Präsentationen blieb aber ein mulmiges Gefühl zurück. Zum einen, weil wenige so explizit wie der oben zitierte Fuoli erkennen liessen, dass Ihnen das Wesen des Fans im Stadion nicht völlig fremd ist. Für viele sind Fans in erster Linie Kundinnen und Kunden, die man auf eine «Customer-Journey» mitnehmen muss, um in der Arena mit «Venue as a service»-Ansatz den «Revenue» möglichst zu steigern. Zum anderen, weil viele Präsentationen mehr an Verkaufspräsentationen oder gar Selbstbeweihräucherungen erinnerten. Auf die Spitze trieben das Wolfgang Klein, CEO von Klein Computer System, Daniele Kohler von HP Schweiz und Raphaël Berger, Generaldirektor des Eishockeyclubs Fribourg-Gottéron. Deren neues Stadion wurde selbstbewusst als besucherfreundlichstes der Schweiz angepriesen, obwohl der Gästesektor zum Mini-Block in Käfig-Optik umgebaut wurde. Wie super und schön das neue Stadion sei, sagten die drei wiederholt. Warum genau, das blieb weitgehend unklar. Völlig abstrus war die gewählte Form. Der IT-Unternehmer interviewt den Kunden, von dem er einen grossen Auftrag erhalten hat. Flankiert von der Computerfirma, die ihm die Technik für den Auftrag zur Verfügung stellte. Dass sich da keiner kritisiert, scheint logisch. Als wäre das nicht genug, taten die beiden Auftragnehmer das auch noch in Gottéron-Shirts.

Der Tiefpunkt des Tages war der Auftritt von Deep Impact. Im Wesentlichen möchte diese Firma mittels automatisierter Gesichtserkennung die Stadien sicherer machen. Die grundsätzlichen Zweifel an dieser Technologie, die es beileibe nicht nur in Bezug auf Fussballspiele gibt, seien hier aussen vorgelassen. Der CEO der Firma, Christian Fehrlin tat das in seiner Präsentation auch: Der Datenschutz nahm etwa zehn Sekunden seiner Präsentation ein. Aber wer in eine Präsentation einsteigt und sagt: «Veranstalter sind immer mehr mit Hooligans konfrontiert, leider auch in der Schweiz», versucht sich offensichtlich seine Nachfragen selber zu züchten. Auch dann, wenn er sagt, dass Stadionverbote kaum durchsetzbar seien. Beides dürfte einer objektiven Betrachtung nicht standhalten.

Von den angeblich so gefährlichen Fussballspielen in der Schweiz wechselt er fliegend zu Manchester – gemeint sein dürfte der Bombenanschlag bei einem Konzert von Ariana Grande – und zu Corona. Weiter macht er mit der unwahren Aussage, in der Schweiz gebe es etwa 1600 Hooligans, wobei er sich vermutlich auf die Hooligan-Datenbank des Bundes stützt. Selbst wenn man keine Zweifel an dieser Datenbank beziehungsweise der dort verwendeten Definition von Gewalttätigkeiten hat, sind nur rund 600 der dort registrierten gut 1500 Personen mit einer aktiven Massnahme belegt. Von 1600 Schweizer Hooligans zu sprechen, ist entsprechend deplatziert.

Das Fazit fällt nach einem Tag Konferenz gemischt aus. Zum einen sind viele Trends spannend und für eine grosse Zielgruppe auch relevant. Dass nicht alles der Realität der Fans im Stadion entspricht, geschenkt, auch vor dem Fernsehgerät können Fans sitzen. Wo Entwicklungen aber Auswirkungen auf den Fan im Stadion haben – seien das alle am Eingang wegen der Gesichtserkennung oder wie im Beispiel Fribourg vor allem die Gästefans – dort ist das offensichtliche Fehlen jeglicher Kenntnisse über ebendiese sehr bedenklich.