Abgesang auf das schöne Spiel

Es ist nicht lange her, da schrieb ich in einem noch nicht veröffentlichten Text für SENF, es gebe wohl neben dem FC St.Gallen kaum einen Verein, dessen Fans regelmässig so froh über das Saisonende sein müssten. Endlich Pause, keine wöchentliche Niederlage mehr.

Ähnlich geht es mir bei der Weltmeisterschaft. Endlich ist sie fertig. Ich frage mich: Stelle ich – ein ausgesprochener Fan des Regionalfussballs – zu hohe Ansprüche an den Fussball? Warum bin ich zweimal nacheinander so froh über das Ende eines Anlasses? Mein persönliches WM-Fazit ist ernüchternd: Das war ja nicht auszuhalten. Ich will nicht noch mehr davon. Nicht noch mehr bedingungsloses Verteidigen, nicht noch mehr Simulieren, Rudelbildungen und Zeitspiel. Schön, fand die WM am Sonntag ihr Ende. Jetzt gibts wieder mehr Itten und weniger Neymar.

Ich wundere mich über die vielen Kommentare, die von einer hervorragenden WM sprechen. Der «Sonntagsblick» schrieb, die Fussballer hätten das schöne Spiel in Perfektion zelebriert. Andere meinten, die spielerische Klasse sei extrem hoch gewesen, jedes Spiel spannend, weil es heute keine Kleinen mehr gebe.

Ich bin da eher bei Oliver Kahn: Diese tiefstehenden Mannschaften, die von Beginn weg verteidigen, vielleicht mal ein Tor schiessen und dann noch mehr verteidigen, die sind nichts Neues. Die deutsche Torhüterlegende – als Kommentator vielen und auch mir sympathischer denn als Goalie – sah an der WM nichts, was er noch nie gesehen hat. Ich auch nicht. Aber vieles, das perfektioniert wurde.

Joga Bonito – spiele schön

Nehmen wir das Defensivspiel. Ich schicke vorweg: Meiner Meinung heiligt jedes faire, legitime Mittel an einer WM den Zweck. Ich nehme es den Teams nicht übel, wenn sie so spielen. Aber es ist nicht schön anzuschauen. Eines Gipfeltreffens der besten Spieler und Mannschaften der Welt geradezu unwürdig.

Ein amerikanischer Sportartikelhersteller warb einst mit dem Slogan «Joga Bonito», «spiele schön». Der Abgesang darauf ist an der WM um ein paar Strophen bereichert worden. Von Schweden etwa, einer biederen Mannschaft, an die sich kaum einer erinnern würde, hätte sie nicht (verdient!) die Schweiz rausgeworfen. Von Russland, das so den Viertelfinal erreicht hat. Vom Iran (zu dem ich Sympathien entwickelt habe), von Island, von Dänemark. Ein wenig auch von Weltmeister Frankreich.

Kommen wir zum Simulieren, den Rudelbildungen und dem Zeitspiel. Klar, auf Neymar wurde schon genug herumgehackt, aber er hat sich das auch redlich verdient. Doch er ist in guter Gesellschaft: Cristiano Ronaldo versuchte auf lächerliche Art, einen Penalty zu schinden. Griezmann holte im Final so den Freistoss heraus, der zum 1:0 führte.

Der Engländer Henderson bewarb sich während des Spiels gegen Kolumbien um eine Aufnahme an Schauspielschulen rund um die Welt. Dies in einem extrem überhitzten Spiel, weil die Kolumbianer alle zwei Minuten den Schiedsrichter in den Schwitzkasten genommen haben. Das Spiel hätte nicht zu Ende gespielt werden können, hätte der Unparteiische die Karten so verteilt, wie es im Regelbuch steht.

Endlich wieder Gurkenliga

Und dann das Zeitspiel. Bei Frankreich-Belgien wurde in den letzten 15 Minuten vielleicht noch drei Minuten Fussball gespielt. Kylian Mbappé soll der neue Star des Weltfussballs werden. Das Zeitspiel hat er auf jeden Fall schon mal drauf, das zeigte er eindrücklich. Einen solchen Weltfussball will ich nicht.

Ich bin froh startet nun wieder der Ligabetrieb. Nicht nur, weil ich bald kein Grillfleisch mehr sehen kann und nicht mehr jeden zweiten Tag wegen der Begleiterscheinungen des Fernsehfussballs einen Kater habe. Auch nicht, weil die Super League so viel schöneren Fussball bietet als die Weltmeisterschaft, zumindest Belgien und Kroatien haben uns ja schon ein wenig verwöhnt und ich bin jetzt noch mehr Fan von Kevin de Bruyne.

So überheblich, die Schweizer Liga damit zu vergleichen, bin ich nicht. Wir sprechen hier von einer Liga, die auf der Strasse gerne als Gurkenliga bezeichnet wird. Aber: Es ist die mir liebgewordene Gurkenliga. Ich habe mich an sie gewöhnt, an ihre Bodenständigkeit, an all ihre Schwächen. Ich habe sie nun mal gern. Ich sehe lieber Itten als Neymar.

SENF berichtet(e) umfassend von der WM 2018. Die Übersicht zu Berichten, Tickern und allem anderen gibts hier.