SENF #15

Am 10. August 2002 empfing der FC St.Gallen im Espenmoos den FC Wil. Etwas Aufwändigeres, Schwierigeres sollte es diesmal sein. Die jungen Ultras, bis in die Haarspitzen motiviert, hatten weisse und grüne Papiere im Sektor Grün verteilt. Und unternahmen alles, damit die Spielbesucher:innen ihr Papier zu Spielbeginn in  die Höhe hielten. Viel zu wenige folgten der Aufforderung. Es gab deutlich zu viele Lücken, die Buchstaben S und G waren nur mit viel Fantasie und Wohlwollen erkennbar. 

In einer Zeit ohne Handykameras, ohne Whatsapp und Instagram dauerte es bis nach dem Spiel, bis die  Ernüchterung eintrat. Nicht das Unentschieden nervte, sondern der Anblick dessen, was das Kameradisplay eines Fotografens von der Gegentribüne zeigte. Um dieses hatten sich mehrere Mädels und Jungs geschart; sie wollten wissen, ob ihr Einsatz sich gelohnt hatte. Ein damals 16-jähriger Fan quittierte das Foto in seinem Matchtagebuch schriftlich mit zwei Fragen. Die erste war: «Was sind wir für Künstler?» Ein Zentimeter darunter stand: «Was haben diese Leute Ahnung von Kunst!?»

Da war es, das Selbstverständnis, dass eine Fankurve Kunst produziert. Sie war zu dieser Zeit noch  rudimentär, die Motivation der «Kunstschaffenden» jedoch riesig. Und sie machten Fortschritte. Choreografien gehören heute zu den Spielen wie Bratwurst und Bürli, kommen so detailreich wie noch nie daher. Weil Choreos rund um den Fussball die sichtbarste Kunstform sind, haben wir ihrer Geschichte in der Ostschweiz in dieser Ausgabe zum Thema Kunst ein Kapitel gewidmet. In diesem kommen frühere und heutige Protagonisten zu Wort.

Die Schnittmenge von Fussball und Kunst ist jedoch weit grösser. So gehören zum heutigen Stadtbild oft Graffiti und Tags in den Farben des ansässigen Vereins. Diesem Thema nehmen wir uns in der aktuellen Ausgabe ebenso an wie der Musik, die um den Fussball herum entstanden ist. Weshalb ein Lied auch noch «bsoffä i de Chnelle» singbar sein muss, erklärt uns der Zürcher Rapper Tinguely dä Chnächt. Und zum Zusammenhang von Kunst und Stadionbau haben wir den Bildhauer, Zeichner und Konzeptkünstler Florian Graf befragt.

Kuratorin Dorothea Strauss war 2006 für die Ausstellung «Rundlederwelten» im Berliner Gropius Bau zuständig. Sie geht auf einige Werke ein – und erzählt, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede die Kunstwelt und der Fussballkuchen haben. Sozusagen eine Dauerausstellung zeigen die Spieler:innen Woche für Woche auf ihren Rücken: die Trikotnummern. Fanzines, zweierlei Texte zur angedachten ID-Pflicht für Zuschauer:innen, Gedanken zum Kommerz, Fotografien aus der Fussballwelt sowie ein Besuch bei Dorjee Tsawa runden den 15. SENF
ab.

Die Ausgabe kann ab sofort hier bestellt werden.