Mal ganz ehrlich: Wie kann das sein?
Der FC St.Gallen beendet die Hinrunde der Saison 2025/26 nach dem 2:1-Sieg in Zürich auf dem zweiten Rang, die eigentlichen Titelfavoriten liegen hinter ihm. Welche Signale hat die Mannschaft im Herbst ausgesendet?
Der Berner Sportclub Young Boys verlor am Sonntag in Lugano 0:3. In Bern werden Katastrophenszenarien gezeichnet, das gleiche gilt teils für Basel und sicher für Genf. Mit diesem Ausgang der Hinrunde hätte niemand rechnen können. Thun führt nach 19 Runden die Tabelle an, hat 40 Punkte. Drei Zähler dahinter liegt der FCSG, dann geht’s abwärts: Lugano hat 33, Basel 32, YB sogar nur 29. Wie konnte es so weit kommen?
Die beiden «Grossen» der letzten Jahre oder sogar Jahrzehnte, die Serienmeister YB und Basel, haben vor allem mit internen Kämpfen zu tun. Bei beiden scheint eine gewisse Übersättigung eingetreten zu sein. Titel als Normalität, falsche Personalentscheidungen die Konsequenz davon. Besonders in Bern war das zu beobachten; der Sportchef wurde zum Halbheiligen erklärt, hat in den letzten zwei Jahren den Beweis, dieser Rolle auch wirklich gewachsen zu sein, aber nicht zur Genüge erbracht. Und Basel, so sagt man, ist sowieso ein Chaos. Wenngleich es in der letzten Saison nicht danach ausgesehen hatte.
Nur ein Sieg weniger als in der ganzen letzten Saison
Und St.Gallen? Gibt es in der Ostschweiz wirklich eine grün-weisse Insel der Glückseligkeit? Nein, natürlich nicht. Und alle Beteiligten wissen das. Eigentlich ist der Fussball selten komplett überzeugend, die zweite Hälfte in Zürich war von beiden Teams teilweise ungeniessbar. Aber reicht es einfach, wenn man die engen Spiele dann eben doch gewinnt und sich auf den zweiten Platz katapultiert – notabene nach 19 Spielen mit nur einem Sieg weniger als in der gesamten letzten Saison?
Ja, natürlich. Man möge die Anlehnung an José Mourinho verzeihen, aber: Fussball ist ein Ergebnissport. Wie es eigentlich jeder Sport ist; Ehrenmeldungen sind etwas für das gute Gewissen. Ein vierter Platz an Olympia interessiert niemand. Im Gegenteil: Damit bist du der erste Verlierer oder die erste Verliererin. Und genau deshalb ist es so beachtlich, was der FC St.Gallen in dieser Hinrunde geschafft hat. Er spielt nicht einfach nur mit, er gewinnt mit einer fast beängstigenden Regelmässigkeit. Und sendet als Kollektiv das sehr positive Signal aus: Mit dem FCSG ist zu rechnen.
Im zweiten Halbjahr 2025 haben sich unerwartete Dinge ereignet. Der junge Stürmer Alessandro Vogt hat sich gezeigt, ist überragend in die Saison gestartet. Dass er zuletzt das Tor nicht mehr getroffen hat, ist auch auf seine Jugend zurückzuführen. Behar Neziri hat als «Terrier» alle überzeugt, obwohl er bei vielen nicht auf dem Radar war. Er sendete das Signal aus: Hier bin ich! Hier kommst du nicht vorbei! Xherdan Shaqiri kann davon ein Lied singen. Dass die Verletzung eines solchen Spielers so schwer auf das Gemüt drücken würde, ist erstaunlich – Neziri hat sich dieses Standing aber durch seine Leistungen erarbeitet und verdient.
Nicht schön, aber erfolgreich
Das letzte Spiel in Zürich war gewissermassen ein Abbild der bisherigen Saison. Es war (vor allem in der zweiten Hälfte) nicht besonders schön anzuschauen, aber St.Gallen entschied es für sich, ohne die Punkte gestohlen zu haben. Getragen von der Unterstützung von rund 2500 Gästefans machten sich die Grün-Weissen daran, auch das dritte Spiel in der englischen Woche für sich zu entscheiden – und es gelang. Der FCSG zeigte: Er kann auch so. Sogenannte «50:50»-Spiele hat er zuletzt regelmässig gewonnen.
Gestohlen hat der FC St.Gallen weder diesen Sieg noch seine Position in der Tabelle. Sicher ist aber auch, dass es mit dem FCSG nie langweilig wird. Hiess es im Frühjahr vor allem «Liidä mit em FCSG», werden die Spieler jetzt von der Kurve beauftragt, sich unsterblich zu machen, «mit em Pott i eunä Händ». Es ist gerade eine gute Zeit für St.Gallen und seine Fans. Und doch verfällt niemand zu sehr in Euphorie – wie könnte man gerade die letzte Saison vergessen? Doch die Mannschaft hat sich jetzt die Basis erarbeitet, es besser zu machen. Nach den Festtagen gilt es für sie, an die bisherigen Leistungen anzuknüpfen.
Und um die Frage im Titel nicht unbeantwortet zu lassen: Mit Freude am Fussball, mit Zusammenhalt, mit einem passenden Trainer und einem heissblütigen Publikum. Und: Damit, sich nicht zu sehr einen Kopf zu machen, wenn etwas misslingt. Die Bilanz von zwölf Siegen, nur einem Unentschieden und doch auch sechs Niederlagen unterstreicht dies, denn es gab doch auch den einen oder anderen Rückschlag. Sie zeugt von einer Achterbahn der Emotionen, wobei das Pendel häufiger in die positive Richtung ausschlug. Gelingt es, die aktuelle Form in das neue Jahr mitzunehmen, ist diesem FC St.Gallen viel zuzutrauen.