Ohne Breite keine Spitze

Der Fussball in der Stadt St. Gallen hat sich in den letzten Jahren verändert. Zwar dominiert noch immer der FC St.Gallen das Bild und der SC Brühl ist die klare Nummer zwei. Dahinter überholen junge Vereine die alteingesessenen, die das aber gar nicht stört.

Als der Schiedsrichter am Sonntag, 21. August, das Spiel zwischen der SV Schaffhausen und dem KF Dardania St.Gallen anpfiff, war das eine Wachablösung im St.Galler Stadtfussball. Es war Dardanias erstes Spiel in der 2. Liga interregional nach dem Aufstieg in der Vorsaison. Zum ersten Mal spielt einer der jüngeren St.Galler Vereine höher als die alteingesessenen, sieht man von den beiden Top-Teams FC St.Gallen und SC Brühl ab. Der FC Winkeln, der am nächsten dran ist, holte letzte Saison in der gleichen Gruppe wie Dardania nur rund halb so viele Punkte und spielt weiterhin in der regionalen 2. Liga.

«Das hat schon mit Ansprüchen zu tun», sagt Dominic Jaenke von der städtischen Dienststelle Infrastruktur, Bildung und Freizeit. Er arbeitet beinahe tagtäglich mit den Fussballclubs zusammen, um die Belegung der Sportanlagen zu koordinieren, und hat daher einen guten Überblick über das Geschehen im Stadt-St.Galler Fussball. Auch René Bühler, Ehrenpräsident des FC Fortuna St.Gallen und einer der profiliertesten Kenner des Fussballs in St.Gallen, sagt, der Erfolg Dardanias habe unter anderem mit der Mentalität zu tun. «Vielen, die bei Dardania spielen, ist der Fussball wichtiger als anderen, gerade jungen Menschen in der Stadt.»

Wechsel nehmen auch  im Breitenfussball zu

Mit dem Aufstieg der jüngeren Vereine geht einher, dass die lokale Verankerung der Clubs durch eine ideelle ersetzt wird. Oder durch die Herkunft in einem globaleren Sinn. Die Bindung zu einem Club ist aber auch grundsätzlich nicht mehr gleich stark wie früher. Jaenke erklärt das an seinem eigenen Beispiel. Sein Jugendclub war der FC St.Otmar St.Gallen, mittlerweile spielt er bei Gossau. «Ich hätte mir früher nie vorstellen können, zu Gossau oder überhaupt zu einem anderen Club als St.Otmar zu wechseln.»

Gewechselt wird meist erst im Lauf der Karriere. Gerade bei den Kindern und Jugendlichen sei die lokale Komponente weiterhin sehr relevant, findet Marcel Thoma, Leiter der Dienststelle Sport bei der Stadt St.Gallen. «Man geht schon noch zu ‹seinem› Verein, aber man ist früher bereit, zu wechseln.» Auch Bühler pflichtet bei: «Der FC Fortuna funktioniert immer noch als Quartierverein. Unsere Spieler:innen wohnen zu einem grossen Teil in der Nähe der Kreuzbleiche.» Genau das ist Bühler auch wichtig. «Wir machen Breitenfussball. Meine Held:innen sind die Trainer:innen, speziell die Juniorentrainer:innen, die zwei-, dreimal die Woche auf dem Platz stehen. Oder die Schiedsrichter:innen. Sie alle stehen für die Breite des Fussballs. Und ohne Breite keine Spitze.»

Wer aufsteigt, muss Junior:innen fördern

Dass es für die Spitze eine Breite braucht, hat auch Dardania erfahren. Denn: Mit dem Erfolg kommen die Verpflichtungen. Dazu gehört, dass Clubs in der 2. Liga interregional Nachwuchsförderung betreiben müssen. Wer kein Team im Juniorenspitzenfussball stellt, muss entweder mindestens ein Team der D- und C-Junior:innen führen oder mindestens 30 lizenzierte Nachwuchsspieler:innen in diesem Alter in einer Gruppierung auflaufen lassen. Für Dardania hätte sich diese Verpflichtung allerdings auch ohne Aufstieg eingestellt. Seit dieser Saison gilt sie schon ab der regionalen 2. Liga.

Der Bedingung kam der Club in Zusammenarbeit mit gleich drei weiteren Vereinen nach. Dardania, St.Otmar, Fortuna und Brühl stellen zusammen zwei Juniorinnenteams, die unter der Flagge Dardanias auflaufen. Der Verein erfüllt so die Vorgaben des Verbands, die weiteren Clubs profitieren anderweitig. Zum Beispiel stellt Dardania einen Schiedsrichter, der für den SC Brühl pfeift.

Eine andere Kooperation existiert seit diesem Jahr zwischen dem FC Fortuna und dem SC Riethüsli. Letzterer hatte bisher keine Mannschaft im Vereinsbetrieb, wollte das aber auf diese Saison ändern. Nur: Der Platz auf den St.Galler Sportanlagen ist rar. Für einen neuen Verein sei eigentlich kein Platz, erklärt Jaenke von der Stadt. «Wir haben deshalb als Vermittelnde fungiert und dem SC Riethüsli empfohlen, mit dem FC Fortuna Kontakt aufzunehmen.» In dessen Platzkontingent war Platz frei geworden, nachdem eine Mannschaft aufgelöst worden war. «Aber die Kreuzbleiche wird in der Wahrnehmung der Fussballer:innen immer mit dem FC Fortuna gleichgesetzt», sagt Jaenke. Man könne da nicht einfach ganz neue Vereine spielen lassen. So empfahl man dem SC Riethüsli, doch als zweite Mannschaft des FC Fortuna aufzulaufen. Ein Angebot, das die Kreuzbleiche-Hausherren ebenfalls gerne annahmen. «Wir hätten auch gut ohne zweite Mannschaft leben können», sagt Bühler. «Aber wir haben gemerkt, was für gute Typen das sind.» Die «guten Typen» helfen nun auch anderweitig: Sie übernehmen Schiedsrichteraufgaben und Juniorentrainings. Keine Selbstverständlichkeit, betont Bühler. «Funktionär:innen sind immer schwieriger zu finden.»

Es braucht mehr Plätze

Bei aller Kreativität der städtischen Ämter: Lösen lässt sich das Platzproblem so nicht. Im Gemeindesportanlagenkonzept der Stadt St.Gallen, kurz Gesak, steht: «Es besteht ein Bedarf an zusätzlichen Spielfelderkapazitäten und auch an der dazugehörigen Infrastruktur (Garderoben mit Duschmöglichkeiten).» Rechnerisch fehlt gemäss dem Gesak zwar nur etwa ein Feld, um den Bedarf zu decken. Aber dieses fehlt gewissermassen in Teilen an verschiedenen Orten in der Stadt. Thoma von der Dienststelle Sport konkretisiert: «Um den Druck rauszunehmen, bräuchten wir auf jeder grösseren bestehenden Anlage in der Stadt ein zusätzliches Rasenfeld.» Gemeint sind damit in erster Linie das Gründenmoos, die Kreuzbleiche sowie das Krontal zusammen mit dem Espenmoos.

Jaenke bestätigt das. «Der Bedarf ist gross. Und wir kennen ihn vermutlich nicht einmal ganz», sagt er. Weil die Vereine um die Hoffnungslosigkeit gewisser Anfragen wüssten, stellten sie diese gar nicht erst. Gerade im Mädchen- und Frauenfussball sei das ein Problem. Weil schlicht der Platz fehle, entstünden auch keine neuen Angebote.

Aber nicht nur die Vielzahl an Teams ist die Ursache für verschärfte Platzprobleme. Auch die Anforderungen des Verbands. Steigt eine Mannschaft auf, braucht es plötzlich Abschrankungen oder Sturzräume. «Und schon kommt ein Spielfeld für ein Team nicht mehr in Frage», sagt Jaenke.

Kooperationen wie jene zwischen Fortuna, Dardania, St.Otmar und Brühl sind gemäss Thoma und Jaenke der einzige Weg, kurzfristig Probleme mit der Belegung zu lösen und möglichst viel aus den städtischen Anlagen rauszuholen. «Das müsste für die Zukunft der Weg sein. Nicht im eigenen Gärtchen bleiben, sondern sich als St.Galler Fussballgemeinde positionieren», sagt Jaenke.

Kunstrasen könnte die Not lindern

Langfristig sind bauliche Massnahmen unumgänglich. Auch, weil der Bedarf kaum abnehmen wird. Fussball boomt, gerade auch bei den Mädchen, wo es heute noch relativ wenige Teams gibt. Und auch die jüngeren Vereine dürften noch mehr wachsen, ist sich zum Beispiel Bühler sicher. Zahlen des Schweizerischen Fussballverbands zeigen, dass der FC Besa schon die Grösse der alteingesessenen Vereine erreicht hat, wenn man auf die Anzahl lizenzierter Spieler abstellt. Dardania dürfte ebenfalls weiter wachsen.

Weil es bis zu einem allfälligen Bau von zusätzlichen Feldern aber etwas dauern dürfte, rückt der Austausch von Naturrasenfeldern durch Kunstrasenplätze in den Fokus. Die Akzeptanz der künstlichen Unterlage habe sich in den vergangenen Jahren deutlich vergrössert, sagt Jaenke. Vor allem in den Wintermonaten werde den Vereinen auch klar, wie nützlich solche seien. Aber auch im Sommer kann ein Kunstrasenfeld öfter und ohne Unterbruch bespielt werden.

Freiwilligenarbeit als Pfeiler der Gesellschaft

Darauf hofft man auch beim FC Fortuna. Sein Wunsch nach einem Kunstrasenfeld neben dem Hauptfeld
in der Kreuzbleiche hat gemäss Bühler eine untergeordnete Priorität im Gesak, was er sogar nachvollziehen könne. Wichtiger wäre ihm sowieso, dass die Stadt zumindest für die Trainings und Wettkämpfe der Junior:innen keine Kosten für die Benützung der Anlagen verrechnet. In der Mehrheit der Gemeinden des Kantons sei das bereits so. Und es mache die Förderung der Junior:innen attraktiver.

Unterstützung könnte er sich aber auch vom Bund vorstellen. «Freiwilligenarbeit muss attraktiver werden», sagt er. Dabei schwebt ihm eine Art Vergütung vor, die nicht monetär ist. Vielleicht so etwas wie eine Zeitbörse: «Ich wende Zeit auf, um Junior:innen zu trainieren, dafür profitiere ich anderswo.» Am Ende käme das der Gesellschaft als Ganzes zu Gute. «Ohne Freiwilligenarbeit geht unsere Gesellschaft kaputt.»


Dieser Artikel erschien erstmals in der 16. SENF-Ausgabe. Mehr Infos zu dieser Ausgabe gibts hier, bestellt werden kann sie hier.