Ein historischer Abend in Prishtina

Mit dem Fussballclub Ballkani aus Suharekë hat sich erstmals ein Team aus dem Kosovo für eine europäische Gruppenphase qualifiziert.

Endlich mal entspannen. Das war das Ziel der Reise an den Ohridsee; bei uns nicht so bekannt, aber wunderschön. Den See teilen sich Mazedonien und Albanien, auch Griechenland ist nicht weit entfernt. Er ist kristallklar, am Steg mitten in der Stadt sind kleine Fische zu sehen, schaut man herunter. Dass die Leute, meist serbische und russische Tourist:innen, den Ort als Laufsteg für Instagram-Bilder benutzen, stört nicht, setzt man sich da einfach mal hin und geniesst die Aussicht.

Es ist warm, heiss sogar, aber es drückt. Als «tüppig» würde man das Wetter hierzulande beschreiben, in Erwartung eines Gewitters. Das dann folgt, es ist hier wie im Tessin: Kommen Regen und Gewitter, dann richtig. Ich eile in die Ferienwohnung; nicht weil ich nass werden könnte, sondern weil ich die Fensterfront im Schlafzimmer offen gelassen hatte.

Aus entspannen wird nichts, der Plan ist gescheitert. Das liegt am Wetter, das ist klar. Am See herumgammeln kann ich, aber im Hotelzimmer einfach nicht. Zwei, drei Stunden zwischendurch sind ja gut, aber: Gehe ich wirklich arbeiten, um dann meine Freizeit in einem Schlafzimmer fernab der Heimat zu verbringen?

Natürlich nicht, so liegt die Suche nach Alternativen nahe. Albanien ist nicht fern, aber ein anderes Land mit einer sehr interessanten Geschichte und Kultur. Das durfte es sein, und damit war ich in Korça auch nach vier Bier noch zufrieden, als sie kein Brot für den Qebab mehr fanden und sie ihn irgendwie behelfsmässig servierten. Es war der Zweite an diesem Abend, also was soll’s.

Aber überreizt war ich noch nicht, auch überreist nicht. Und Fussball hat gefehlt. Ich muss ja nicht immer vor dem Spiel schon wissen, ob im Stadion etwas läuft oder nicht. Ob es eine triste oder lustige Sache wird, ob es Spass macht oder ich gähnen werde. Zurück in Ohrid entschied ich am Morgen vor dem Spiel, rund 350 Kilometer vom Stadion entfernt, Ballkani gegen Shkupi zu besuchen. Bei manchen Dingen halten sich meine Qualitäten in Grenzen, aber will ich ein Spiel besuchen, schaffe ich das auch.

Es war 9 Uhr in Ohrid, als ich dachte, das gehe schon. Und ich zeichnete mir auf einen kleinen Schreibblock mit sehr viel Tinte einen «Need Ticket»-Schriftzug, der vielleicht helfen würde. Der Typ meiner Ferienwohnung musste aus mir nicht bekannten Gründen nach Skopje und nahm mich mit. Bevor wir um 11.30 Uhr – gebt den Leuten Zeit! – losfuhren, schickte ich dem Heimclub eine Akkreditierungsanfrage. Weil Instagram meldete, das Spiel sei seit mehreren Tagen ausverkauft. Und ich mir diese Tür offen lassen wollte.

Die Fahrt in Richtung Skopje verlief schnell, eine Kaffeepause brauchte der Fahrer, kein Problem. Kurz nach dieser Pause, auf dem überraschend steilen Abstieg nach Gostivar, war mir dann nochmals besser zumute. Auf meine recht schleimige Anfrage antwortete der FC Ballkani mit «Your request is apprroved». Perfekt.

Die Frage, wie ich nun in so kurzer Zeit nach Prishtina käme, beantwortete der Fahrer mit «ja natürlich mit mir». Wenig später folgte der Grenzübergang Hani i Elezit, kurz danach das Zentrum Prishtinas. Kosovo hat sich eine unglaublich schöne neue Autobahn von der südlichen Grenze ins Landesinnere gegönnt; sie ist so sauber, dass man vom Boden essen könnte. Aber die Leute haben sich noch nicht ganz an sie gewöhnt; obwohl die signalisierten Zahlstationen noch gar nicht existieren, fahren sie lieber durch die Dörfer und Städte.

Prishtina hat mehr oder weniger gleich viele Einwohner:innen wie Bern, ist aber weniger schön. Dem Gefühl, das man während des Streifzugs durch die Stadt bekommt, ist die «Schönheit» der Gebäude aber nicht abträglich. In Prishtina kann sich jede und jeder wohl fühlen; es wirkt sehr entspannt, auch die Bedienung in der Beiz. Ebenso die Frau, die der FC Ballkani für die Medienbetreuung an diesem historischen Abend engagiert hat. Sie verwechselt die 37 mit der 73 und hat Mühe, mich auf der Liste zu finden. Aber das Z am Anfang meines Nachnamens hat oft den Effekt, mich am richtigen Ort der Liste zu suchen.

Ich bin kein Fan davon, Texte chronologisch aufzubauen, aber es ging Schlag auf Schlag, also mache ich es für einmal. Hier einen entscheidenden Moment zu finden – die rote Karte für Shkupi in der zweiten Minute? Das einzige Tor, das Ballkani Mitte der zweiten Hälfte erzielte? –, ist zu schwierig, zumindest in diesem Format.

Den zahlreich anwesenden Ultras von beiden Seiten ging es mehr darum, ihr Dasein als Albaner:innen zu feiern, als das Spiel zu gewinnen. Natürlich, ich habe es vorweg genommen, freuten sich die Fans des Heimteams extrem über den Sieg und die erstmalige Qualifikation für eine europäische Gruppenphase – obendrein als erstes Team des Kosovo in der Geschichte dieser jungen Republik überhaupt.

Doch auf beiden Seiten hingen Fahnen der UÇK, der kosovarischen Befreiungsarmee, die manche Staaten als Terrororganisation einstufen. Und die Gästefans entrollten ein Transprarent zu Ehren Adem Jasharis, eines kosovarischen Nationalhelden: «In unserem Land, im Land Adem Jasharis.»

Das liegt daran, dass das südliche Nachbarland des Kosovo, Nordmazedonien, noch immer so etwas wie zweigeteilt ist. Die Mehrheit ist slawischer Abstammung, fast der ganze Rest Albaner:innen. Und Shkupi stammt aus einem albanischen Viertel der Hauptstadt Skopje; es heisst Čair, die Fans schreiben auf ihrer Fahnen «Republic of Čair», daneben verstehen sie sich als Spieler und Schmuggler, übersetzt man die anderen Fahnen. Shkupi gewann letzte Saison in der nationalen Liga den Meistertitel und spielte darum international. Nur ein Sieg fehlte der Mannschaft, um in die Gruppenphase der Europa Conference League einzuziehen. Um diesen Sieg ging es in Prishtina. Ballkani oder Shkupi, die Teilnahme eines der beiden Teams ist im herausgeputzten europäischen Profifussball ohnehin eine Überraschung. Die Frage, wer das schafft, machte viele nervös und das Fadil-Vokrri-Stadion ausverkauft.

Doch obwohl so viel auf dem Spiel stand, wurde es nie gehässig. Nicht einmal bei der roten Karte für Shkupi, die den Gast erheblich schwächte, weil sie nach rund 80 Sekunden (!) zustande gekommen war und die Gäste das Heim-Hinspiel schon verloren hatten. Ballkani spielte dann zwar nicht wirklich souverän, profitierte aber davon, dass Shkupi sportlich rein gar nichts gelang.

Viel lief über die Nerven, das war sehr gut spürbar. Fussball spielen konnte jeder – die Kenntnis auch nützlich einzusetzen, vermochten aber nicht so viele. Die zweite Halbzeit plätscherte vor sich hin, von Shkupi erwarteten zu diesem Zeitpunkt wohl nicht einmal die locker 1500 Gästefans noch viel. Dennoch gab es Spannung. Am Bierstand war plötzlich Ende Feuer. Kosovar:innen trinken sehr gern Bier, sonst wären nicht die Becher ausgegangen. Bier hatte es noch genug, aber keine Becher mehr. Wer allerdings in dieser Phase einen leeren Becher am Boden fand (und ihn auswusch, wie der Autor dieser Zeilen beobachtete), bekam noch ein Bier.

Irgendwann erzielte Ballkani dann das 1:0. Es war wohl erst rund die 65. Minute, doch meine Notizen brechen hier ab. Weil die Pressetribüne enger war als jede Stehtribüne. Und weil auch ich einen Becher suchen musste, um ihn wieder mit Birra Prishtina füllen zu lassen.

Auf jeden Fall war das 1:0 die Entscheidung. Mitbekommen habe ich es zwischen Bierstand und einem uralten Feuerwehrauto, das beim Eingang zum Innenraum des Stadions stand. Überraschenderweise besangen die Heim-Ultras «Xhebrailat» erst in diesem Moment erstmals in diesem Spiel ihre Heimat, die nicht etwa Prishtina ist, sondern Suharekë, 60 Kilometer von der Hauptstadt entfernt und in der Schweiz bekannt als Standort der Swisscoy. Vielleicht war das ein Zeichen für die Gastgeber aus der Hauptstadt, so viel erfuhr ich aber nicht.

Unübersehbar war danach aber die grosse Feier, die im und rund ums Stadion stieg. Lustig waren die Flitzer, die die Sicherheitskräfte beschäftigten. Diese rollten jedoch mit der Zeit nur noch die Augen, fingen sie (teils nach einer Runde über den ganzen Platz) rasch ab und beförderten sie wieder sehr unzimperlich an ihren eigentlichen Standort. Spannender war, dass es nicht nur auf dem Parkplatz grosse Feuerwerke gab, die einfach nicht abzureissen schienen. Und dass in der Beiz nach dem Spiel Ultras aus den Orten der Teams sowie Prishtina, Tirana, Novi Pazar und so weiter über das Spiel diskutierten.