Jérémy war gerade mal 12, da riefen ständig Vertreter französischer Klubs an. Die Eltern mussten schnell lernen, wie sie mit dem wachsenden Interesse umgehen sollen. «Es gibt die Klubs, dann die Berater, dann die Vermittler. Es ist eine ganz lange Kette. Und irgendwann kommen Leute, die überhaupt nichts mehr mit Fussball zu tun haben», resümiert Dina. Früher hätten Spielervermittler eine Lizenz gebraucht, heute könne sich «jeder Barkeeper» so nennen. «Darum haben wir versucht, Jérémy zu schützen. Man sieht ja, was mit anderen Jungen passiert ist, das tut mir weh. Ich finde, es brauchte eine neutrale Anlaufstelle, die den Eltern von umworbenen Jungen Auskunft geben kann. Wir haben wirklich alles erlebt. Manche Berater wollen gar die Eltern kaufen!», so Dina.
Trotzdem will sie nicht gleich die ganze Branche verteufeln. Sie hätten in dieser Zeit auch mit sehr guten Leuten Kontakt gehabt, viel Hilfe erhalten, von Servette und auch vom Verband, der ihnen wertvolle Ratschläge gegeben habe. Dass man dort frühen Auslandtransfers kritisch gegenübersteht, findet auch Jérémys Mutter richtig: «Der Idealfall wäre wohl gewesen, wenn er noch ein, zwei Jahre in der Schweiz hätte spielen können.»
Selbst in der Promotion League nur Ergänzung
Dass Jérémy Guillemenot trotz seiner Liebe für die Grenats empfänglich war für Offerten, hatte auch mit seiner Stellung im Klub zu tun. «Die letzten zwei Jahre waren eher schwierig», sagte er der «Tribune de Genève» vor seinem Abschied aus Genf. «Es gab Gutes und Schlechtes, aber das Schlechte überwog mehr und mehr.» Heute sei das viel besser geworden, aber damals sei der Schritt von der Akademie in die erste Mannschaft beinahe unmöglich gewesen. Tatsächlich war Guillemenot, eines der grössten Talente, die Servette je hervorgebracht hat, selbst in der Promotion League nur Ergänzungsspieler.
Das konnte einem wie ihm, dem Gérard Castella unbändigen Willen und eine Winnermentalität bescheinigt, nicht genügen. Wie einst Philippe Senderos wagte er bereits mit 18 Jahren den Sprung von Servette zu einem Giganten des Weltfussballs.
Guardiolas Geist schwindet
Jérémys Leben in La Masia, dem Gelände des FC Barcelona, fasst seine Mutter so zusammen: «trainieren, essen, schlafen». Der Anfang war schwierig, doch Jérémy entpuppte sich als wahres Sprachtalent und spricht schon fast fliessend Spanisch. Nun hat er eine eigene Wohnung, 150 Meter vom Trainingsareal entfernt, manchmal besuchen ihn seine Eltern oder Freunde. Ansonsten ist es sehr ruhig, und so mag es Jérémy. Er geht selten aus, trinkt nicht, raucht nicht. Ja, die Konkurrenz sei spürbar, aber sie sei gut und gesund, sagt der Stürmer.
Dass die erste Mannschaft nah und doch noch so weit weg ist, sieht man im Alltag: Jérémys U19 trainiert zwar gleichzeitig wie Messi, Rakitic und Suárez, aber der Platz des A-Teams ist blickdicht abgeschottet. Manchmal werden Junioren für Übungseinheiten mit dem Fanionteam aufgeboten, dieses Glück hatte Jérémy bislang noch nicht. Einzig im Flugzeug an die Champions-League-Auswärtsspiele – die Partien der Youth League werden in der Vorrunde am gleichen Ort ausgetragen – traf er auf die Stars. Stolz postete er daraufhin ein Foto von sich mit Neymar auf Instagram. «Dem wirst du irgendwann den Platz wegnehmen», kommentierte einer.
Auch Barcelona kauft mittlerweile ein
Doch es hat sich einiges verändert in Kataloniens Hauptstadt. Vor fünf Jahren schoss der FC Barcelona 190 Tore in einer Saison, 150 davon erzielten Spieler aus der eigenen Jugend. Noch immer stehen zehn Akteure im Kader, die schon auf Jérémys Stufe im Klub waren, regelmässig zum Einsatz kommen indes nur die älteren Semester wie Iniesta, Piqué oder Busquets. Den Jungen bleiben oft nur spärliche Teileinsätze im Cup. Selbst Supertalent Munir El Hadadi, festgelegte Ausstiegsklausel 35 Millionen Euro, fand keinen Platz im Team und liess sich nun, mit 21 Jahren, nach Valencia ausleihen. Pep Guardiola sagte einst: «Es gibt keinen grösseren Erfolg, als ein Eigengewächs in die erste Mannschaft einzubauen. Das ist sogar besser als ein Titelgewinn.» Diese Philosophie gilt nicht mehr. Neuzuzüge kommen heute auch beim FC Barcelona zumeist nicht aus La Masia, sondern werden teuer eingekauft.
«In der Schweiz sind die Trainer gezwungen, jungen Spielern eine Chance zu geben. Barcelona aber will die Champions League gewinnen, da wirds schwierig», erklärt Gérard Castella. Auch ihm wäre es lieber gewesen, Guillemenot hätte erst bei Servette Fuss gefasst und dann den Zwischenschritt über Basel oder YB gemacht, aber er will ihn dafür nicht verurteilen: