Wir standen im Sektor Blau. Dort, wo jene standen, für die Fussball sitzend zu verfolgen keine Option war. Für die ein Zwischenruf, ganz egal ob «Hopp Sangallä» oder «Schiri, du Arschloch», dazu gehörte. Für die, die aber doch nicht hinter dem Tor stehen wollten. Weil die Sicht schlecht war oder weil dort oft die etwas roheren Fans standen. Vielleicht standen da auch die, für die ein Sitzplatz einfach zu teuer war.
Auf jeden Fall aber standen im Sektor Blau Fans, die zur legendären Espenmoos-Stimmung etwas beigetragen haben, ohne dass das ihre erklärte Absicht gewesen wäre. Sie waren einfach da, sie lebten mit, sie hielten sich manchmal zurück und manchmal nicht. Sie standen in diesem Sektor Blau, der dem heutigen Stadion fehlt. Der jedem modernen Stadion fehlt.
In der Zeit vor Smartphones
Der Sektor Blau war keine heile Welt. Vor 25 Jahren war das Fussballpublikum sowieso weiter weg von dem, was man ein gutes Umfeld für einen Heranwachsenden bezeichnen würde, als es heutige Stadionbesucher sind. Auch wenn uns immer und immer wieder das Gegenteil glaubhaft gemacht werden will. Wohl auch deshalb drehte ich mich – ich stand selbstverständlich unten am Zaun, um überhaupt etwas zu sehen – immer mal wieder um, um die Köpfe meiner Tante, meines Vaters und meines Grossvaters in der Menge zu erspähen.
Ich suchte in der faszinierenden und für mich völlig neuen Atmosphäre Sicherheit. Auf dem Land aufgewachsen, war St.Gallen eine Grossstadt. Gefährlich und wahnsinnig weit weg. Hier verloren zu gehen, wäre eine Katastrophe gewesen. Zumal in einer Zeit, in der mangels Smartphone die Losung jeweils war: «Wenn mer üs verlüret, gsehmer üs do wieder.» «Do» war dann wahlweise der Eingang, die WC-Anlagen, ein Imbissstand.
Vom Spiel weiss ich nichts mehr. Ich habe immer gestaunt, wie Fans jede Einzelheit ihres ersten Spiels aufzählen können. Grosschancen, Pfostenschüsse, Einwechslungen – ja überhaupt irgendwas zur Aufstellung: Ich kann mit nichts davon dienen, ohne zu schummeln. Eines blieb mir aber in Erinnerung: Der Gegner und das Resultat. Solothurn und 3:0. Seltsamerweise blieb das in meinem Kopf auch immer mit einem Aufkleber verknüpft, den es vor dem Spiel zu kaufen gab. Dabei weiss ich noch nicht mal mehr sicher, ob wir so einen gekauft haben. Ich kann mich nur daran erinnern, wie Verkäufer ums Stadion dafür warben, ebendas zu tun. Irgendwie war der Kauf des Aufklebers eine Möglichkeit, den FC St.Gallen zu retten.